Was, wenn mein Kind nicht anders kann?
Diese Frage stellen wir uns viel zu selten.
Viel häufiger hören wir – ob als Eltern, in der Schule oder im Kindergarten – Aussagen wie:
- „Das Kind ist unkonzentriert.“
- „Dem Kind muss man alles hundertmal sagen.“
- „Es ist ständig abgelenkt.“
- „Es ist einfach zu faul zum Üben.“
Und irgendwann glauben wir das vielleicht sogar selbst.
Doch was, wenn all das gar keine böse Absicht ist?
Was, wenn hinter diesen Verhaltensweisen keine Trotzreaktion oder Bequemlichkeit steckt – sondern eine echte, neurologische Unreife?
Was, wenn mein Kind gerade wirklich nicht anders kann?
Verhalten ist nicht immer eine Frage des Wollens
Im Gehirn werden viele wichtige Fähigkeiten gesteuert: Stillsitzen. Planvolles Denken. Impulse kontrollieren. Frust aushalten.
Aber diese Fähigkeiten stehen uns nicht von Geburt an zur Verfügung – sie entwickeln sich über die Zeit. Und: Sie brauchen dafür ganz bestimmte Voraussetzungen.
Die Reifung des Gehirns erfolgt durch Bewegung.
In den ersten Lebensmonaten und -jahren werden Bewegungen von sogenannten frühkindlichen Reflexen gesteuert. Wann welcher Reflex auftritt, ist genetisch festgelegt. Doch dieser natürliche Fahrplan kann gestört werden – zum Beispiel durch Stress in der Schwangerschaft, eine schwierige Geburt oder Krankheiten.
Wenn solche Störungen auftreten, können bestimmte Bereiche im Gehirn nicht vollständig ausreifen. Die Folge: Das Gehirn ist (noch) nicht in der Lage, bestimmte Anweisungen umzusetzen.
Ein Kind kann dann vielleicht gar nicht stillsitzen – nicht, weil es nicht will, sondern weil sein Gehirn es noch nicht zulässt. Und es kommt noch etwas hinzu:
Wenn frühkindliche Reflexe nicht vollständig integriert sind, „funken“ sie weiterhin dazwischen – wie jemand, der beim Autofahren ständig ins Lenkrad greift. Man kommt irgendwie voran, aber es kostet unnötig viel Kraft und Konzentration.
Ein Perspektivwechsel mit Wirkung
Zu erkennen, dass mein Kind möglicherweise Dinge (noch) nicht kann – anstatt sie absichtlich zu verweigern – kann vieles verändern. Es hilft, liebevoll verbunden zu bleiben, auch wenn der Alltag herausfordernd ist. Es öffnet die Tür zu mehr Verständnis, Geduld und einem achtsameren Umgang.
Die gute Nachricht
Die Entwicklung des Gehirns ist formbar – auch nach der Babyzeit.
Fehlende Verbindungen lassen sich nachreifen. Mit gezielten Bewegungsimpulsen und entsprechenden Förderungen kann das Gehirn lernen, auch bislang unzugängliche Bereiche anzusteuern.
Und damit wird möglich, was bisher kaum denkbar war:
Mehr innere Ruhe, mehr Selbstkontrolle, mehr Leichtigkeit – für das Kind. Und auch für dich als Elternteil.
Fazit
Wenn wir beginnen, nicht nur auf das Verhalten, sondern hinter das Verhalten zu schauen, entdecken wir oft eine ganz neue Wahrheit: Kein Kind will absichtlich „schwierig“ sein.
Aber manche Kinder haben es einfach schwerer – und brauchen unsere Hilfe, um ihren Weg zu finden.